Video-Bibliothek mit Zeitzeugen an Stadtarchiv Nastätten überreicht
Im Rahmen der Archivierung von Unterlagen der Stadtverwaltung aus den 1990er Jahren ist das Stadtarchiv auf ein Schreiben aus 1997 vom damaligen Stadtbürgermeister Karl Peter Bruch mit dem Titel „Video-Gespräche“ gestoßen.
„… kann die Stadt Nastätten auf ein Angebot von Herrn Karlheinz Müller aus der Oberstr. 29 zurückgreifen. Herr Müller will eine Video-Bibliothek der Stadt Nastätten aufbauen. Zu dieser Bibliothek will er Gespräche mit Zeitzeugen der Stadt aufnehmen … als Gesprächspartner steht der Beigeordnete Herr Menche zur Verfügung.“
Dem Stadtarchiv waren diese Filme unbekannt!
In weiteren Recherchen stellte sich heraus, dass es zahlreiche Video-Gespräche gab, diese Videos aber nie veröffentlicht wurden.
Im Rahmen eines liebevoll von Frau Müller vorbereitenden Frühstücks wurde dem Team des Stadtarchivs sowie unserem Stadtbürgermeister Marco Ludwig die Filme übergeben, sodass sie nun, nach mehr als 25 Jahren, als kleine Video-Bibliothek den Bürgern der Stadt Nastätten zur Verfügung stehen.
Vorführung der Filme im Kino-Center Nastätten
Teil 2
Teil 2 mit Wilhelm Werner sowie der Gesprächsrunde im Museum mit Winfried Ott, Konrad Bruch, Helmut Steeg und Mariechen Färber zeigen wir im Frühjahr 2024 ebenfalls im Kino-Center Nastätten.
Ein kleiner Vorgeschmack auf die Gespräche
Zeitzeuge Josef (Jupp) Kratz
Als Zeitzeuge erzählt Josef Kratz 04. Mai 1998 zur Landwirtschaft in Nastätten. Wie im Jahre 1913 mit einer Kuh alles begann. Er berichtet über die Betriebsgrößen der Nastätter Landwirtschaft, die drei Felder Wirtschaft, vom Kuhgespann über die ersten Pferde nach dem 1. Weltkrieg von Dreschflegel, Dreschmaschine, Mähmaschine, Binder, Mähdrescher und Traktor. Darüber hinaus von den Schweinen zur Eigenversorgung, den vielen Schafen in Nastätten und deren Wollverarbeitung bis hin zum Viehmarkt für den es eingelassene Eisen in der Römerstraße gab.
Zeitzeuge Helmut Steeg
Helmut Steeg geht in seinem Gespräch mit Robert Menche am 07. April 1998 auf die Wollweber und das Nastätter Tuch ein. Berichtet von den vielen Handwerksberufen und den Schuhmachern, die ihre Ware auf den Märkten in Kemel und Dachsenhausen verkauften. Das Leder das mit der Staatsbahn nach Nastätten transportiert wurde sowie den vielen Reparatur-Werkstätten und Flickschusterreihen.
Zeitzeugin Mariechen Färber
Mariechen Färber als Nastätter Bauernmädchen stammt aus der Gastwirtschaft „Zur Sonne“ geht in ihrem Gespräch mit dem 1. Beigeordnetet Robert Menche am 7. April 1998 auf die Aufgabe der Bauersfrau ein. Wie die Frau in der Landwirtschaft für die Ernährung der Familie verantwortlich war. Vom Butter stoßen, dem Kochen des „Qutescheschmier“, der Hausschlachtung mit langer Vor- und Nachbereitung.
Sie erzählt von der Dreschmaschine in zwei ansässigen Dreschgesellschaften, dem Dreschen und der Verköstigung der Helfer.
Für ein Bauernmädchen darf selbstverständlich die Landwirtschaftsschule (Winterschule) nicht unerwähnt bleiben.
Zeitzeuge Karl Krug
Herr Krug war von 1949-1969 Betriebsleiter der Nastätter Seidenfabrik. Er berichtet im Gespräch mit Robert Menche am 27. Januar 1998 von der Ansiedlung von Kampf & Spindler zur Jahrhundertwende, mit Zusage keine weitere Industrie in Nastätten anzusiedeln. Der Verpflichtung der Seidenfabrik, Arbeitskräfte aus der rückläufigen Landwirtschaft zu übernehmen, den Lohnverhältnissen zwischen Stadt und Land und dem enormen Aufschwung nach dem ersten Weltkrieg. Alle Mitarbeiter waren auch Mitunternehmer. In den Hochzeiten waren 500 Beschäftigte an 120 Webstühle in der Fabrik tätig.
Herr Krug erzählt über die Familie Spindler zu denen er persönlich ein sehr gutes Verhältnis hatte, die soziale Einstellung der Familie Spindler, die Wohnungen und Häuser baute, die später an die Belegschaft verkauft wurden. Auch die Stilllegung der Seidenfabrik 1969 gestaltet sich sozial, mit großzügiger Abfindung sowie der Möglichkeit der Rente mit 58.
Zeitzeuge Wilhelm Heidecker
Das Gespräch zwischen Wilhelm Heidecker und Robert Menche wurde in seiner Werkstatt am 3. Februar 1998 in der Rheinstraße geführt. Wilhelm Heidecker war nahezu sein gesamtes Leben aktiv im Turnverein. Er erzählt von seiner Zusammenarbeit im Turnverein mit Heinrich Wollschläger und Adolf Wollschläger sowie Alfons Strobel. Er berichtet vom Gauturnfest 1925 in Nastätten, dem Turnen auf den Deutschen Turnfesten in Breslau und Berlin zusammen mit Heiner Gilles.
Wilhelm Heidecker geht auf die Altersriege mit Rektor Vömel, Theodor Strobel und Willi Meister ein, von denen heute noch ein Bild aus 1932 in der Turnhalle hängt.
Er erzählt vom früheren Turnplatz an der Winterschule, dem Turnen im Saal des Hotels „Gundrum“ und dem Saal im Hotel „Alte Post“, dem Fußball mit Fritz Gans und Willi Bär auf dem Sportplatz hinter den drei Buchen, dem Bau des Waldschwimmbads 1929 bis zur Entstehung des VfL Nastätten nach der französischen Besatzung.
Zeitzeuge Wilhelm Werner
Als Zeitzeuge im Gespräch am 20. Januar 1998 mit Robert Menche berichtet Wilhelm Werner über den 1880 praktizierenden praktischen Arzt Dr. Nickel, der als Stabsarzt aus dem Krieg 1870/71 das eiserne Kreuz erhielt. Über Dr. Cathrein der als Medizinstudent aus Nastätten seine erste Praxis im Hotel „Alte Post“ betrieb. Vom Lazarett im Sohlenscher Hof, der Übernahme des Krankenhauses durch die Paulinenstiftung Wiesbaden. Der Landwirtschaft im Paulinenstift und der Milch die nach Wiesbaden ins Paulinenstift gebracht wurde, bis hin zum Bau des neuen Krankenhauses 1965.
Wilhelm Werner geht in seinem Gespräch auf die Geschichte der Märkte vom Lukas-, Johannes- bis zum Viehmarkt ein und berichtet über die Herkunft der Nastätter Wassersupp im Jahre 1760.
Auch das in Nastätten ansässige Amtsgericht darf nicht fehlen, sowie die Post im Gasthaus „Krone“ und im Hotel „Alte Post“ bis zum Bau der Post in der Bahnhofstraße 1906 in dem sich später auch das Fernamt unter preußischer Verwaltung befand. Dem 1908 erbauten Gaswerk unter Bürgermeister Fahlsing und warum Nastätten so spät ans Stromnetz angeschlossen wurde.
Er berichtet von Kaiser Josef II und dessen Unfall am Neuweg in Nastätten mit Übernachtung im Hotel „Alte Post“ und der Brauerei im Hotel „Gundrum“.
Zeitzeugen Winfried Ott - Konrad Bruch - Helmut Steeg - Mariechen Färber
Eine große Gesprächsrunde gab es am 19. Mai 1998 in der Museumskneipe des Regionalmuseums in Nastätten mit den Zeitzeugen Winfried Ott, Konrad Bruch, Helmut Steeg und Mariechen Färber. Die Moderation der Gesprächsrunde übernahm der damalige 1. Beigeordnete Robert Menche.
Es wurden sehr viel Themen angesprochen, angefangen mit den Lebensverhältnissen in der „guten alten Zeit“, dem Wohlstand von Nastätten im 12. und 13. Jahrhundert durch die Wollindustrie, dem Nastätter Tuch und dem Blaufärben.
Ein kurzer Abriss zu Wilhelm Nesen und dessen Bruder Konrad Nesen, die als Studenten aus Nastätten auch Freunde von Martin Luther waren. Dem 30-jährigen Krieg, der Zuwanderung im 17. und 18. Jahrhundert, der Berufe in Nastätten und den Familien, die alle auch eine Landwirtschaft unterhielten.
Auf die erbärmlichen Wohnverhältnisse, die hohe Kindersterblichkeit sowie Brände und Hochwasser wird eingegangen.
Die wiederkehrende Armut nach dem 2. Weltkrieg mit dem Sammeln von Bucheckern, dem Lebensmitteltausch, der Wohnungsnot und den Behelfsbaracken.
Aber auch der wiederkehrende Wohlstand durch Kleinbahn und Seidenfabrik wird thematisiert.
Es geht um die Auswanderung der Familien nach Amerika und den wohl berühmtesten Sohn Robert Wagner.
Amtsgericht, Amtsapotheke und Kreiskrankenhaus dürfen in dieser Runde natürlich nicht fehlen.